"der südmensch und der nordmensch - könnten sich mit dem klima nicht auch die charaktere ändern?- zur neuausgabe von viktor von bonstettens klima-essay - warum sind die menschen auf erden verschieden? - seitdem angehörige einander fremder ethnien sich begegneten - hat diese frage die menschen beschäftigt - die derzeit korrekte antwort ist im wesentlichen von den parametern der soziologie bestimmt: die menschen sind verschieden - weil sie unter ungleichen sozialen bedingungen - einkommensverhältnissen und bildungsvoraussetzungen aufwachsen - ein soeben im rahmen der historisch-kritischen bonstettiana-edition wieder aufgelegter - einst hochberühmter essay des schweizer schriftstellers karl viktor von bonstetten (1745-1832) ruft eine antwort ins bewusstsein zurück - die heute eher fremd wirkt und doch in der grossen tradition der europäischen aufklärung ihre wurzeln hat und über lange zeit hinweg eines der wichtigsten interkulturellen verstehensmuster war - es ist die klimatheorie - und sie postuliert: die menschen sind verschieden - weil sie unter verschiedenen klimatischen bedingungen - in verschiedenen landschaften leben - bonstettens 1824 in genf erschienene schrift (die in der vorliegenden edition parallel in einer neuen deutschen übersetzung präsentiert wird) trägt den plakativen titel 'l'homme du midi et l'homme du nord ou l'influence du climat' und entwickelt eine dichotomische anthropo-geographie - in der 'südmensch' und 'nordmensch' als lebensweltliche - characterliche und moralische polaritäten escheinen - während der südländer (und bonstetten meint damit vor allem die bewohner italiens) eher durch vorstellungskraft - spontaneität und sinnlichkeit definiert sei - wohne dem zur vorsorgewirtschaft gezwungenen 'nordländer' eher planende intelligenz - moralisches berwusstsein und das streben nach freiheit inne - 'die gesellschaftsordnung ist nicht einfach menschenwerk - sie ist das natürliche produkt von verhältnissen - die das produkt der zeit und der umstände sind' - bereits montesquieu hatte in seinem 'geist der gesetze' (1748) den 'frost' und die 'hitze' als ursachen der entwicklung unterschiedlicher charaktere und sozialer systeme ins spiel gebracht - in deutschland hatte dann herder der klimatheorie gehör verschafft - es wundert mich - dass bonstettens auffassung von den wechselwirkungen zwischen natürlich-landschaftlichen gegebenheiten und menschlichen verhaltensweisen eminente resonanz fand - wie die herausgeber doris und peter walser-wilhelm in ihrem kommentar deutlich machen - ist bonstettens essay auch vor dem hintergrund der politischen umwälzungen seiner zeit zu verstehen - in der freiheitliche bewegungen vorwiegend auf 'nördlichen' schausplätzen erfolg hatten-
"der südmensch und der nordmensch - könnten sich mit dem klima nicht auch die charaktere ändern? - zur neuausgabe von viktor von bonstettens klima-essay -
noch währed des sezessionskrieges in den vereinigten staaten erscheint in new york - gleichsam als argumentative schützenhilfe für die politische position der nordstaaten im kampf gegen die 'südliche' sklaverei - eine amerikanische übersetzung von bonstettens werk -
auch die für das 19. jahrhundert so wirkmächtigen ideen des 'nationalcharakters' und des 'volkstums' beriefen sich gern auf den charakterlich prägenden einfluss von klima und landschaft - im übrigen bestimmen bis heute die vorstellungen einer 'spontaneren' - 'sinnlicheren' - lebensart der menschen im süden das populäre bewusstsein - nicht zuletzt in der wahrnemung italiens und der italiener -
die frage - ob das alles nur 'konstruktion' und literarischer topos ist - passt schlecht in den aktuellen diskurs - ist aber trotzdem anregend - gibt es nicht doch so etwas wie eine geo-mentalität? - könnten sich mit dem beschworenen klimawandel nicht auch die charaktere ändern? - übersetzt man zudem das - was bei bonstetten 'klima' heisst - mit dem aktuellen begriff der 'umwelt' - wird deutlich - wie interessant noch immer die 'géographie humaine' des schweizer schriftstellers ist." // dieter richter - süddeutsche zeitung vom 9. april 2010-
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"der südmensch und der nordmensch - könnten sich mit dem klima nicht auch die charaktere ändern?- zur neuausgabe von viktor von bonstettens klima-essay - warum sind die menschen auf erden verschieden? - seitdem angehörige einander fremder ethnien sich begegneten - hat diese frage die menschen beschäftigt - die derzeit korrekte antwort ist im wesentlichen von den parametern der soziologie bestimmt: die menschen sind verschieden - weil sie unter ungleichen sozialen bedingungen - einkommensverhältnissen und bildungsvoraussetzungen aufwachsen - ein soeben im rahmen der historisch-kritischen bonstettiana-edition wieder aufgelegter - einst hochberühmter essay des schweizer schriftstellers karl viktor von bonstetten (1745-1832) ruft eine antwort ins bewusstsein zurück - die heute eher fremd wirkt und doch in der grossen tradition der europäischen aufklärung ihre wurzeln hat und über lange zeit hinweg eines der wichtigsten interkulturellen verstehensmuster war - es ist die klimatheorie - und sie postuliert: die menschen sind verschieden - weil sie unter verschiedenen klimatischen bedingungen - in verschiedenen landschaften leben - bonstettens 1824 in genf erschienene schrift (die in der vorliegenden edition parallel in einer neuen deutschen übersetzung präsentiert wird) trägt den plakativen titel 'l'homme du midi et l'homme du nord ou l'influence du climat' und entwickelt eine dichotomische anthropo-geographie - in der 'südmensch' und 'nordmensch' als lebensweltliche - characterliche und moralische polaritäten escheinen - während der südländer (und bonstetten meint damit vor allem die bewohner italiens) eher durch vorstellungskraft - spontaneität und sinnlichkeit definiert sei - wohne dem zur vorsorgewirtschaft gezwungenen 'nordländer' eher planende intelligenz - moralisches berwusstsein und das streben nach freiheit inne - 'die gesellschaftsordnung ist nicht einfach menschenwerk - sie ist das natürliche produkt von verhältnissen - die das produkt der zeit und der umstände sind' - bereits montesquieu hatte in seinem 'geist der gesetze' (1748) den 'frost' und die 'hitze' als ursachen der entwicklung unterschiedlicher charaktere und sozialer systeme ins spiel gebracht - in deutschland hatte dann herder der klimatheorie gehör verschafft - es wundert mich - dass bonstettens auffassung von den wechselwirkungen zwischen natürlich-landschaftlichen gegebenheiten und menschlichen verhaltensweisen eminente resonanz fand - wie die herausgeber doris und peter walser-wilhelm in ihrem kommentar deutlich machen - ist bonstettens essay auch vor dem hintergrund der politischen umwälzungen seiner zeit zu verstehen - in der freiheitliche bewegungen vorwiegend auf 'nördlichen' schausplätzen erfolg hatten-
"der südmensch und der nordmensch - könnten sich mit dem klima nicht auch die charaktere ändern? - zur neuausgabe von viktor von bonstettens klima-essay -
noch währed des sezessionskrieges in den vereinigten staaten erscheint in new york - gleichsam als argumentative schützenhilfe für die politische position der nordstaaten im kampf gegen die 'südliche' sklaverei - eine amerikanische übersetzung von bonstettens werk -
auch die für das 19. jahrhundert so wirkmächtigen ideen des 'nationalcharakters' und des 'volkstums' beriefen sich gern auf den charakterlich prägenden einfluss von klima und landschaft - im übrigen bestimmen bis heute die vorstellungen einer 'spontaneren' - 'sinnlicheren' - lebensart der menschen im süden das populäre bewusstsein - nicht zuletzt in der wahrnemung italiens und der italiener -
die frage - ob das alles nur 'konstruktion' und literarischer topos ist - passt schlecht in den aktuellen diskurs - ist aber trotzdem anregend - gibt es nicht doch so etwas wie eine geo-mentalität? - könnten sich mit dem beschworenen klimawandel nicht auch die charaktere ändern? - übersetzt man zudem das - was bei bonstetten 'klima' heisst - mit dem aktuellen begriff der 'umwelt' - wird deutlich - wie interessant noch immer die 'géographie humaine' des schweizer schriftstellers ist." // dieter richter - süddeutsche zeitung vom 9. april 2010-
'bewusstsein' i st f 'berwusstsein'...
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